Auf drei Etappen weiter in die Hauptstadt
„In Ulm und um Ulm und um Ulm herum!“. An diesen Zungenbrecher muss ich denken, als wir rundherum um den großen Vulkankegel des Taranki fahren, im Kreis immer an der Küste entlang. Es ist der „Surf-Highway 45“. Wir lassen uns etwas Zeit für die Strecke, machen einige Pausen, schauen raus aufs Meer und die Wellen, beobachten ein paar Kids, die mit ihren Surfbrettern darauf reiten. Die Ortschaften, die wir durchqueren sind meist klein und hübsch und teilweise ziemlich kreativ in der Umsetzung ihrer Gartenzäune.
Wir haben am Vorabend online die Fährfahrt auf die Südinsel gebucht, können uns leider nicht all zuviel Zeit lassen für nächsten 385 Kilometer, weil wir schon in wenigen Tagen übersetzen. Heute fahren wir die knappe Hälfte der Strecke und stranden am Abend in Wanganui auf einem Campground direkt am gleichnamigen Fluss. „Könnte auch Aschaffenburg sein“, meint Manuel, als wir den Fluss über eine Brücke überqueren. „Stimmt! Fehlt nur das Schloss an der Flussbiegung da vorne! Hach, Heimatgefühle!“.
Als wir den Freedom Campingplatz nach mehreren Anläufen endlich finden, schlagen wir dort unser Lager auf. „Lass uns mal schnell den Van ausräumen, ein bisschen sortieren und putzen!“ – aus ‚mal schnell‘ vergeht bei der Aktion mal schnell der ganze Nachmittag. Immerhin kümmern wir uns endlich um ein paar aufgeschobene To Do’s am Bus. Unsere Moskitonetze, die wir schon seit ein paar Tagen an den Fenstern anbringen wollten hängen endlich und die Werkzeugkiste ist frisch sortiert, nachdem eine Dose mit Schrauben aufgegangen und wild darin verteilt war. Außerdem haben wir endlich eine ‚Netflix Vorrichtung‘, die wir kurzerhand aus einem Stück Wäscheleine und ein paar Haken entworfen haben, um unseren Computer daran aufzuhängen, sodass bei Heimkino Abenden keiner den Laptop auf dem Schoß halten muss.
Dass Wanganui selbst eine gemütliche Stadt ist, stellen wir fest, als wir am nächsten Morgen ein bisschen durch die Gassen und an der Promenade entlang schlendern. Ein „Steckdosen-Stopp“ und einen Kaffee später sind unsere Elektrogeräte wieder aufgeladen und wir auf dem Weg weiter Richtung Süden.
Bis wir unseren Einkauf für die nächsten Tage erledigt haben und Wellington näher kommen, ist es schon wieder spät am Nachmittag. Weil die Campingmöglichkeiten in der Hauptstadt ziemlich begrenzt sind, entscheiden wir uns spontan, einen weiteren Stopp etwa 50 Kilometer vor Wellington einzulegen. Der Rest des Tages: Schwimmbad, eine herrlich warme Dusche, Einkaufen, Camping im Grünen, Kochen, Essen und seit langem mal wieder eine Frisbee Session einlegen.
Am nächsten Morgen machen wir uns schon früh auf den Weg. Während Manuel fährt, checke ich die App, in der die Campingplätze aufgelistet sind. Für den Platz, den wir ansteuern, gibt es einen ‚Zähler‘ der alle paar Minuten weiter runter springt. Als wir dort ankommen, steht der Zähler auf ‚3 left‘ – tatsächlich sind davon aber zwei Plätze mit Baumaterial belegt und wir erwischen mal wieder den letzten Platz – lucky us.
Eine Hauptstadt mit Rekorden und mehreren Spitznamen
Die Hauptstadt Neuseeland hält gleich drei Rekorde auf einmal:
– Wellington gilt als die südlichste Hauptstadt der Welt.
– Es ist die entlegenste Hauptstadt der Welt, weil die Distanz zur nächsten Hauptstadt eines anderen Landes am weitesten ist.
– Die Stadt wird auch als die windigste Stadt der Welt betitelt und wird gerne auch „Windy Welly“ genannt.
Die Stadt liegt am südwestlichen Rand der neuseeländischen Nordinsel und liegt an der Cookstraße, die die Nord- und die Südinsel voneinander trennt und von Winden durchpeitscht wird. Die durchschnittliche Windgeschwindigkeit in Wellington beträgt 29 km/h, windstille Tage gibt es kaum. Die Luftverschmutzung in Wellington ist aufgrund der Winde minimal. Einwohner haben gelernt, mit den Winden umzugehen – dafür sehen wir umso mehr Touristen, die mit ihren wehenden Haaren im Gesicht oder mit geliehenen Fahrrädern gegen eine Windwand ankämpfen.
Von unserem Campingplatz aus, der direkt an einem Yachthafen liegt, spazieren wir eine Weile an der Promenade entlang, die gerade mit vielen bunten Windspielen neu gestaltet wird. Auch wir müssen uns bei unserem Spaziergang immer wieder gegen den Wind stemmen.
Weil die Filmindustrie in Neuseeland boomt, hat man an einem Hang einen überdimensionalen weißen Schriftzug errichtet, der an jenen berühmten in Hollywood erinnert. Daher rührt auch der zweite Spitzname der Filmstadt „Wellywood“.
Bunte Straßen, eine rote Standseilbahn und ein Spaziergang durch den botanischen Garten
Unsere Erkundungstour durch die Stadt treibt uns zuerst in die bunte Cuba-Street. Sie zählt als Wellingtons alternativste Straße und hat für uns einen unglaublich hohen Gemütlichkeitsfaktor. Es ist Szene- und Künstlerviertel und verschiedenste Kulturen treffen aufeinander. Die bunte Straße ist gesäumt von kleinen Boutiquen und Galerien, trendigen Second Hand Stores, kleinen Shops und gemütlichen Cafes. Hach, Wellington! Du gefällst mir schon beim ersten Streifzug.
Eines der bekanntesten Wahrzeichen der Stadt ist die rote Standseilbahn, die die Innenstadt mit einem höher gelegenen Stadtteil verbindet. Schon während der Fahrt nach oben wird der Blick über die Stadt immer weiter und toller. Oben angekommen spielt gerade ein junger Mann auf einem öffentlichen Klavier in der Wartehalle und unterlegt unseren Weitblick über die Stadt so mit ein bisschen Swing. Herrlich schön.
Den Rückweg in die Stadt nehmen wir zu Fuß durch den botanischen Garten, der mehr ein großflächiger und wunderschöner Park ist. Je weiter wir uns der Stadt wieder nähern, hören wir Live Musik. Es sind „Sommer-Event-Tage“ in der Stadt, auf einer Bühne im botanischen Garten spielt gerade eine Band. Wir machen es uns gemütlich, leider ist es nur die Generalprobe für einen späteren Auftritt, sodass nach zwei Liedern die Vorstellung schon wieder beendet ist.
Das Nationalmuseum ‚Te Papa‘ und unsere erste E-Scooter Fahrt
Eins der Dinge, die wir gerne machen, wenn wir an einen neuen Ort kommen: Einheimische fragen „Was ist denn dein Lieblingsort hier?“ – so kommt man ganz oft nochmal an hübsche Plätze, die nicht im Reiseführer stehen und als Touristen Hot-Spots gelten oder bekommt eine persönliche Geschichte dazu, die dem Ort nochmal einen besonderen Hintergrund geben.
Morgens unterhalten wir uns gut mit unserem Uber-Taxi-Fahrer, der ungefähr 70 Jahre alt ist, hier in Wellington aufgewachsen ist und die Stadt nie wirklich verlassen hat. Wir stellen ihm unsere Frage. Er muss lange überlegen und meint dann „Es ist zwar ein touristischer und oftmals auch überlaufener Ort, doch das Nationalmuseum Te Papa ist mein absoluter Lieblingsort in Wellington. Das solltet ihr euch auf keinen Fall entgehen lassen!“. So kommt es, dass wir am Nachmittag dort durch die großen Tore treten.
Der offizielle Name des Museums ist „Te Papa Tongarewa“, was auf Maori „Der Ort der Schätze dieses Landes“ heißt. Und genau das ist es auch: eine riesige Schatzkammer mit allem, was Neuseeland ausmacht. Auch wenn wir sonst eher nicht Typ ‚Ich verbringe gerne stundenlang im Museum und lese aufmerksam alle Infotafeln‘ sind, sind wir hier ziemlich begeistert und bleiben gleich drei Stunden. Der Eintritt ist kostenlos, über sechs Stockwerke ziehen sich verschiedene Ausstellungen.
Schon am Eingang sehe ich ein Hinweisschild zu einer neuen Ausstellung ‚Alice im Wunderland‘. Sofort kommen Kindheitserinnerungen hoch und ich denke an das große Pop-Up-Alice-Buch, das meine Großeltern immer im Schrank stehen hatten. Das will ich unbedingt sehen und überzeuge Manuel irgendwie, der zwar damit nichts anfangen kann, mir aber die Freude macht. Es war die einzige kostenpflichtige Ausstellung und heute hier der größte Reinfall für uns 😀
Dafür sind alle anderen Themenräume, die wir durchlaufen wirklich spannend. Maori-Historie und Hintergründe, optische Illusionen und knallbunte geometrische abstrakte Kunst, eine Foto-Ausstellung über ‚tatau‘, die traditionellen Tätowierungen der Bewohner der Inselgruppe Samoa, und viele mehr. Besonders gut gefällt uns die Ausstellung, über all die kleinen und großen Naturwunder in Neuseeland und auf der ganzen Welt. Tier- und Pflanzenwelt, Klimawandel, Erdbeben, Vulkanausbrüche, usw. – und das alles nicht langweilig auf einfachen Tafeln erklärt, sondern als Mitmach-Museum, was wirklich Spaß macht und definitiv empfehlenswert ist.
Wir kaufen noch ein paar Kleinigkeiten für unser Abendessen ein, wollen dann zurück zum Campground. Manuels Idee: „Lass uns doch mit E-Scootern zurück fahren!“ Auja! Das wollten wir schon lange mal ausprobieren. Wir registrieren uns kurzerhand per App, suchen uns zwei der elektrischen Tretroller und los gehts. Wir haben gerade einen riesen Spaß und sausen durch die Innenstadt, als die Teile plötzlich stark runterbremsen und das Handy in der Tasche vibriert. Eine Warnmeldung erscheint auf dem Display. Wir haben gerade einen Bereich befahren, der zur verkehrsberuhigten Zone zählt und die Geschwindigkeit der Roller deshalb innerhalb der Zone gedrosselt wird. Irgendwie verlieren wir bei der ganzen Geschichte die Orientierung und fahren ungefähr 30 Minuten in die komplett falsche Richtung. Nachdem wir mittlerweile 13 Kilometer von unserem eigentlichen Ziel entfernt sind, entscheiden wir, die Roller doch wieder zu parken und steigen stattdessen in ein Uber-Taxi. Wie es der Zufall will, kommt unser Fahrer ursprünglich aus Samoa. Wir fragen ihn Löcher in den Bauch zu den traditionellen Tattoos, die wir vorher in der Ausstellung gesehen haben und hören uns auf dem Rückweg noch ein paar passende Geschichten seiner Familie an. Spannend!
Von Wellington nach Picton durch die Marlborough Sounds
Nachts um drei klingelt der Wecker. Ein paar Minuten später machen wir uns müde auf den Weg zum Fährterminal, stellen uns in die Schlange zum Einchecken. Eine Stunde später kommt Bewegung in die lange Autoschlange. Ein Fahrzeug nach dem anderen wird von dem mächtigen Schiff verschluckt. Noch ziemlich müde sitzen wir dann im Bord-Café und trinken einen Kaffee zum Aufwachen.
Es ist noch stockdunkel draußen. Wir wechseln das Deck, sind mittlerweile im Ruhebereich mit gemütlichen Sesseln und Panorama-Fenster. Während Manuel nochmal die Augen zumacht, warte ich gespannt auf den Sonnenaufgang und freue mich auf die Fjordlandschaft, die uns im Norden der Südinsel erwartet. „Schon die Fährfahrt ist ein Erlebnis und Highlight für sich“, haben wir vorher mehr als einmal gehört. Als es langsam zu dämmern beginnt ist klar, dass das kein spektakulärer Sonnenaufgang wird. Als wir langsam in die Fjordlandschaft der Marlborough Sounds kommen, drehen wir eine Runde über das Außendeck. Es ist ungemütlich, grau, regnerisch, der Wind peitscht uns ins Gesicht. Die teilweise von Wolken und Nebel verhüllten Fjordwände machen die Überfahrt zu einer mystischen Angelegenheit, sodass wir gar nicht wissen, ob wir rechts oder links rausfotografieren sollen.
Drei Stunden dauert die Überfahrt. Hallo Picton, hallo Südinsel.
Blenheim, Marlborough-Wein und schwarze Schwäne
Wir kommen etwas planlos auf der Südinsel an. Haben uns eigentlich noch nicht so hundertprozentig überlegt, in welche Richtung wir unsere Route starten. Doch eins steht fest: Die Marlborough Fjorde möchten wir gern nochmal bei besserem Wetter sehen. Wir checken die Wetter-App für die Umgebung und die nächsten Tage. Kurzentschlossen fahren wir dann der Sonne entgegen, nämlich ein kleines Stück entlang der Ostküste nach Blenheim. Der Ort liegt in einer der bekanntesten Weinanbau-Regionen der Welt, Marlborough. Das spüren wir mit jedem Kilometer, den wir uns Blenheim nähern. Links und rechts von uns und soweit das Auge reicht: sattgrüne Weinreben in Reih und Glied. Ein kleiner Stadtbummel, der Einkauf für die nächsten Tage – inklusive Vorrat von regionalem Wein, versteht sich – und ein zweiter Kaffee und Tee später, fahren wir unseren Campingplatz außerhalb der Stadt an. Wir stehen direkt an einem See, der voller schwarzer Schwäne und rundherum von Weinbergen umgeben ist.
Ein schöner Wanderweg führt vom Campground zu einem Aussichtspunkt, mitten durch die Weinfelder, über einen kleinen Fluss, der von Blumenwiesen gesäumt ist und durch die gelblich trockene Wiesenlandschaft. Als ich gerade mein Handy raushole, rutscht die Schutzhülle ab und mein vierblättriges Kleeblatt, das ich dort gepresst habe, wird vom Wind weggetragen. Ich muss schmunzeln und denke „das Glück findet dich bestimmt wieder“ (was ich noch nicht weiß: schon eine Woche später finde ich wirklich einen weiteren Glücksklee in der Golden Bay).
Den Abend lassen wir (wie es sich in einer Weinregion gehört) mit einem Fläschchen Wein ausklingen und gehen heute früh ins Bett. Die letzte kurze Nacht steckt uns noch in den Knochen.
Marlborough Fjorde bei Sonnenschein, Strandspaziergänge in Nelson und schöne Waschsalon Bekanntschaften
Am Morgen machen wir uns direkt wieder auf den Rückweg nach Picton, wo wir gestern bei stürmischem Wetter angelegt haben. Heute machen wir hier einen Spaziergang bei Sonnenschein mit grandiosen Fjord-Blicken.
Unser Tagesziel ist Nelson, wo wir die nächsten Tage unspektakulär aber schön bei Strandspaziergängen am Tahunanui Beach, Frisbee Sessions und Stadtbummeln verbringen. Die zweite Nacht hier verbringen wir direkt an einem Park mit Waschsalon in direkter Nähe. So packe ich unsere große Wäschesammlung ein als ich aufwache und gönne Manuel einen Ausschlaf-Tag ohne Wecker und Gedränge.
Mit Sack und Pack und allen möglichen Elektrogeräten marschiere ich also zum Waschsalon, stopfe die Wäsche in die Maschine, hänge unsere Elektronik an die Steckdose und mache es mir auf dem Bänkchen gemütlich. Mein Ziel: Endlich mal wieder einen Blogbeitrag schreiben. Und dann kommen mir die beiden Nordlichter Merle und Niklas plötzlich „in die Quere“. Die beiden sind für 109 Tage in Neuseeland und Australien unterwegs. (Sieh halten ihre Erlebnisse auch in einem Blog fest und haben ein besonders gutes Händchen für tolle Fotos – empfehlenswert). Dem Waschsalon sei Dank – es ist eine dieser wunderbaren Begegnungen, die bleiben. Wir tratschen gefühlt einen kompletten Waschgang lang, erzählen Geschichten, tauschen uns aus, geben uns Tipps und bleiben auch hinterher in Kontakt.
Anmerkung: Ja, ja, ich weiß! Ich hinke hier ganz schön hinterher… doch solche Ablenkungen kommen manchmal ganz unerwartet und sind einfach wunderbar 😉
Es ist Waschtag. Nachdem die Wäsche sauber, trocken, zusammengelegt und wieder eingeräumt ist in unseren ‚Kleiderschrank‘, ist der Bus selbst dran. Kurze Scheibenwascheinheit, Luft in die Reifen und Wasser in den Wassertank füllen. Es kann weitergehen – auf auf zur „Golden Bay“.