Neuseeland, Forgotten World Highway

Neuseeland, Forgotten World Highway

Die ersten Kilometer des Forgotten World Highways – Lavendelfelder und eine sattgrüne Hügellandschaft

Die nächsten Tage werden schon allein streckenmäßig ein Highlight. Wer bisher das Sprichwort „Der Weg ist das Ziel“ noch nicht verstehen kann, sollte diese Strecke einmal fahren. Der Forgotten World Highway entführt uns in eine andere Welt.

Der Highway 43 hat diesen Namen bekommen, weil er wirklich wie ein Stückchen vergessene Welt erscheint. Es ist die am wenigsten befahrene Straße Neuseelands, tatsächlich begegnen uns auf den 155 Kilometern höchstens eine handvoll anderer Fahrzeuge. Wenn uns jemand begegnet, ist es meistens ein Pick-Up, auf dem ein Hund auf der Ladefläche seine Nase in den Wind streckt und der Fahrer lächelnd kurz die Hand zum Gruß hebt. Der Highway führt von Taumarunui nach Stratford und windet sich über vier Bergsättel, einen einspurigen Tunnel mit Abenteuerfaktor entlang eines kurvigen Flusstals durch eine wilde, kantige und malerische Landschaft.

Wir tanken den Van in Taumarunui nochmal voll, auf der gesamten Strecke gibt es keine Tankstellen oder Möglichkeiten an Diesel zu kommen. Schon die ersten Kilometer sind ein Highlight. Kurvig windet sich die Straße über den ersten Bergkamm und gibt Sicht frei auf eine grüne Hügelwelt mit einem lila Fleck. Wir kommen dem lila Feld näher. ‚Lauren’s Lavender Farm‘ – ein hübsches Holzschild mit lilafarbener geschwungener Schrift lädt ein auf einen kleinen Spaziergang durch die Lavendelfelder und durch den kleinen Shop mit Café, in dem es frisch lavendelig duftet. Lauren empfängt uns mit einem freundlichen Lächeln auf ihrer Lavendel Farm, sagt wir sollen unbedingt auch runter an den Fluss laufen. Ein enger wild bewachsener Pfad führt am Hang nach unten zum Ongarue River, wo gerade einige Kanufahrer ankommen und anlegen für eine kleine Kaffeepause. Zurück auf der Farm, streifen wir noch ein bisschen durch die satten Lavendelfelder, schießen ein paar Fotos, beobachten die Bienchen, die wild zwischen den zarten Lavendelblüten umhersurren und freuen uns über die perfekte Farbkombi, die unser Bus gerade abgibt, so direkt neben dem lila Feld geparkt.

Kühe, Schafe und eine unerwartete Hütehundeshow

„Plane für die Strecke von ca. 155 km gute drei bis vier Stunden Fahrzeit inklusive Stopps ein“, lesen wir auf verschiedenen Blogbeiträgen und im Reiseführer. Wir sind schon eine Stunde unterwegs und haben gerade mal 14 Kilometer zurück gelegt. Schon jetzt ist klar, dass wir uns Zeit lassen werden und lieber zwei Tage auf der Strecke verbringen, wenn das so weitergeht mit Landschaft und Highlights. Keine fünf Kilometer später das nächste Highlight: eine Kuhherde überquert vor uns die Fahrbahn. Jede Kuh, die die Straße überqueren will, nimmt gefühlt zuerst Blickkontakt auf, schaut nach rechts und links und trottet dann los. Wir stehen ein Weilchen da und beobachten, bevor wir ganz langsam weiterrollen. Brav bleibt die nächste Kuh in der Reihe stehen und lässt uns passieren. Entschleunigend, im wahrsten Sinne des Wortes und gerade so schön.

Noch eine Stunde später. Im Schatten eines Baumes liegen hunderte Schafe aneinander gedrückt. Direkt daneben ist eine kleine Haltebucht – ein schöner Picknick-Platz. Wir bereiten uns eine kleine Brotzeit vor und machen es uns auf der Wiese neben der Schafherde gemütlich. Als wir aussteigen, schauen sie uns mit großen Augen an, springen auf, gehen ein paar Schritte zurück. Wir setzen uns einfach ruhig daneben, nach und nach werden sie neugieriger, kommen wieder näher und kauen gemütlich weiter. Wir kauen auch, im Hintergrund blökt ab und zu mal einer unserer Nachbarn laut, was uns jedes Mal wieder zum Lachen bringt.

Gerade als wir weiterziehen wollen, kommt ein Schäfer mit einem Quad angefahren und zieht einen Anhänger mit vier oder fünf Hunden hinter sich her. Er hält an der Weide gegenüber an und öffnet das Gatter. „Ui, das könnte spannend werden!“, sagt Manuel. Der Farmer winkt uns fröhlich zu, wir stehen am Zaun und beobachten gespannt. Und ja, es wird spannend! Wir bekommen hier eine sensationelle Privatvorstellung in Sachen Hütehunde. Der Bauer pfeift gekonnt verschiedene Pfiffe, die Hunde strömen los in unterschiedliche Richtungen, die Schafe flitzen dazwischen umher wie ein aufgeschreckter Ameisenhaufen. Nach einer beeindruckenden Vorstellung und 10 Minuten später haben hunderte Schafe sicher die Straße überquert, die Hunde einen lobenden Kopfstreichler bekommen, der Schäfer schwingt sich zufrieden pfeifend wieder auf sein Quad und winkt nochmal.

Mannshohe Farne und ein besonderer Tunnel

Weiter geht’s durch die hübsche Natur. Wir überqueren den ersten Bergkamm, haben schon einen tollen Blick auf das, was uns die nächsten Kilometer erwartet. Eine tiefe Schlucht, durch die sich sowohl das schwarze Asphaltband und ein Stück Schotterstraße zieht, als auch ein Flussbett. Links und rechts davon wilde Natur, mannshoher Farn, eine ganze Palette an verschiedenen Grüntönen und teils überhängende Felswände. Es ist ein Stück Straße, das mit jeder Kurve eine neue Überraschung bringt. Wir schweigen eine Weile während wir dort entlang kurven, ich merke, wie wir beide genießen und einfach nur zufrieden sind.

Am Ende der Schotterstraße noch ein Highlight: Der Moki Tunnel. Wir schmunzeln, als wir davor stehen und das hölzerne Schild über dem schmalen Tunnel sehen: „Hobbit’s Hole“. Er wurde 1936 als einspuriger 183 Meter langer Tunnel in den Fels geschlagen. Beim Durchfahren könnte man wirklich meinen, dass Hobbits diesen Tunnel mit Händen ausgegraben haben.

Die 12 Einwohner-Republik ‚Whangamomona‘ und ein neuer Stempel im Reisepass

Auf der gesamten Strecke gibt es zwar immer mal wieder vereinzelt Häuser und Bauernhöfe, die gruppiert beieinander stehen, doch kaum ein richtiges „Dorf“. Einzige Ausnahme: Whangamomona. Ein 12-Seelen-Dorf, das nicht nur Dorf, sondern gleich eine eigene Republik ist. Ja, richtig gelesen.

1988 wurden die Verwaltungsbezirke in Neuseeland neu aufgeteilt. Whangamomona gehörte bis dato zum Regierungsbezirk Taranaki, mit dem sich die Einwohner auch identifizierten. Plötzlich sollte ein Flusslauf die neue Bezirksgrenze markieren, wodurch ein kleiner Teil von Whangamomona auf der Landkarte dem Nachbardistrikt angegliedert würde. „Nicht mit uns!“, beschlossen die Einwohner und gründeten nach einer konspirativen Sitzung im ‚Hotel Whangamomoma‘ kurzerhand eine eigenständige Republik und erklärten ihre Unabhängigkeit von Neuseeland. Es ist bis heute die kleinste Republik der Welt.

Den schrägen Humor und die entspannte Haltung der Neuseeländer kennen wir mittlerweile, doch das hier ist eine ganz besondere Hausnummer. Als eigene Republik braucht es natürlich auch einen eigenen Präsidenten. Hier wurden unter anderem auch schon Schafe oder Schildkröten zum Präsidenten gewählt.

Im Ort selbst gibt es ein paar Häuser, eine hübsche hölzerne Kirche, Poststelle, Metzgerei und einen kleinen Lebensmittelladen. Mittendrin steht das Whangamomona Hotel, das Mittelpunkt des öffentlichen Lebens ist. Es beherbergt ein Restaurant und Pub, das schon nachmittags gut besucht ist. Hier wird uns an der Theke zwischen Bierzapfanlagen ein neuer Stempel in unseren Reisepass gedrückt.

Wir fahren weiter, 300 Meter nach dem letzten Haus verabschiedet uns ein großes rotes Schild „Thank you for visiting the Republic of Whangamomona! Welcome back in New Zealand!“. Witzig sind sie, die Kiwis.

„Wir haben gar keinen Bus!“

Nachdem wir noch zwei weitere Bergkämme überquert haben, der Tag sich langsam dem Ende neigt und wir immer noch ein ganzes Stück der Strecke vor uns haben, entscheiden wir uns, einen Platz für die Nacht zu suchen und finden einen gemütlichen Campground bei Te Wera. Während wir die Nase nochmal in die letzten Sonnenstrahlen strecken und uns dabei ein kaltes Gingerbeer gönnen, schlägt die Familie, die gleichzeitig mit uns angekommen ist ihr Lager auf. Er parkt das übergroße Wohnmobil auf der Wiese neben uns, die Türen öffnen sich und wie bei ‚Wetten dass…?‘ springt ein Kind nach dem anderen aus dem Bus. Kurz darauf steht der Vater der Rasselbande am Kofferraum und zieht nacheinander fünf Kinderfahrräder aus der Klappe. Innerhalb kürzester Zeit erobern die beiden Zwillingspaare und die ältere Schwester den Campingplatz.

Während ich koche, deckt Manuel draußen den Tisch und wird plötzlich von den Kindern belagert. Auf die Frage „Heee! Weiiiißt du wo unsere Mama iiiist?“, meint er: „Ich glaube, die ist in eurem Bus.“ Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten: „Wir haben keinen Buuus! Wir haben ein WOHNMOBIL!“. Genauso lustig bleibt es über den Abend, es ist herrlich!

Ein Vulkan, der sich nicht blicken lassen will und uns am Abend doch noch überrascht

Den nächsten Morgen lassen wir ruhig angehen, fahren gemütlich die restlichen 35 Kilometer des Forgotten World Highways und warten gespannt auf den Blick vom letzten Bergkamm. Der soll nämlich spektakulär sein, weil man den perfekt geformten Vulkankegel des Mount Taranakis dort das erste Mal sehen kann. Wir halten immer wieder Ausschau in die Richtung, in der wir den Taranaki vermuten, doch leider ist es zu bewölkt und von einem Vulkankegel keine Spur.

Die letzten Kilometer des Forgotten World Highways sind schon wieder etwas belebter als der Rest der Strecke. Die Anzahl der Häuser nimmt wieder zu, einige Bauern sind unterwegs, wir kommen der Zivilisation spürbar wieder näher. Der Highway endet in Stratford, einem kleinen Städtchen benannt nach der Heimatstadt Shakespears.

Eine halbe Stunde später kommen wir in New Plymouth an, unser Ziel für die nächste Nacht. Wir überlegen, noch einen Abstecher zu machen und uns das Stadtzentrum anzuschauen. Erstmal einen Platz für die Nacht finden, dann in die Stadt, ist unser Plan. Wir finden einen Campingplatz direkt am See, im Hintergrund das Meer mit hübschem Küstenwanderpfad, dass wir uns den Stadtbesuch für morgen aufheben und stattdessen die Natur um uns herum genießen. Kleiner Spoiler vorweg: Wir haben alles richtig gemacht. Die Stadt an sich ist keine Besonderheit… jemand sagte uns einmal: „Wer nach Neuseeland kommt, kommt nicht wegen den Städten dorthin!“ – stimmt.

Es war den ganzen Tag über eher bewölkt. Als sich am Abend der Himmel plötzlich wunderschön in alle möglichen Orange-/Rot- und Pinktöne färbt und die Wolken verschwinden, laufen wir noch eine Runde am Küstenpfad. Wir kommen an einer der bekanntesten Brücken Neuseelands vorbei, ‚Te Rewa bridge‘. Eine Fußgängerbrücke, die laut Architekt ein nach Osten gekrümmtes Segel darstellt, und so den vorherrschenden Westwind thematisiert. Wir stehen davor und finden eher, dass man meinen könnte, hier sei ein Wal gestrandet und das Skelett wurde irgendwann als Brücke genutzt. Die Besonderheit an der Brücke: Dreht man sich von der Küste weg und schaut mittig durch die Brückenbögen, wirken diese wie ein besonderer Rahmen für den Taranaki, der im Hintergrund aufragt. Wir drehen uns um und haben Glück. Es ist die schönste Überraschung des Tages, wir bekommen den Vulkan doch noch zu Gesicht.

Funfact zum Vulkan Taranaki: Der Vulkan ist in Neuseeland unter zwei Namen bekannt. Die Maori nannten ihn schon seit jeher ‚Taranaki‘, es ist der Name des Berggottes, der dort in deren Mythologie wohnt. Irgendwann kam der britische Seefahrer und Entdecker, Captain James Cook, und benannte den Vulkan kurzerhand in ‚Mount Egmont‘, nach einem britischen Adelsmann um. Erst viel später erhielt der Berg wieder seinen alten Maori Namen. Taranaki. Seit den Filmaufnahmen für ‚Der letzte Samurai‘ (der in Japan spielt, doch teils in Neuseeland gedreht wurde) hat er nun auch noch den Spitznamen ‚Der falsche Mount Fuji‘.

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