Unsere Vulkantour auf den Acatenango

Unsere Vulkantour auf den Acatenango

Um 6:00 Uhr klingelt der Wecker. Wir sind aufgeregt, haben unheimlich großen Respekt vor dem, was uns heute bevorsteht.

Die Wanderung auf den Acatenango, einen nicht mehr aktiven Vulkan ganz in der Nähe von Antigua Guatemala. Wir haben mittlerweile viele Erfahrungsberichte gelesen, mit anderen Reisenden gesprochen, die die Tour bereits gemacht haben. Das Fazit klingt überall ähnlich: es ist wahnsinnig anstrengend, laut manchen sogar „das Härteste, dass sie jemals gemacht haben“. Doch angeblich lohnt es sich!

Ja, wir haben Zweifel, sind unsicher – wie weit werden wir kommen? Sind wir fit genug? Passt unsere Ausrüstung? Wie kalt kann eine Nacht im Zelt auf über 3.600 Metern werden? Wir wollen es auf jeden Fall probieren! Umkehren geht immer, doch im Nachhinein zu sagen, wir haben dem Ganzen nicht mal eine Chance gegeben, kommt nicht in Frage.

Zwei Tage vor Aufstieg kaufen wir uns für ein paar Euro noch eine zweite warme Schicht Klamotten auf dem Secondhand Markt in Antigua – zu groß ist die Angst, nicht gut genug auf die Kälte vorbereitet zu sein. Am Abend vorher packen wir unsere Rucksäcke – Wasser, warme Kleidung, Obst, Snacks…der Rucksack ist schwer – ich weiß noch nicht was ich von dem Gedanken halten soll, das Gewicht fünf Stunden bergauf zu schleppen. Während wir packen kontakten wir mit einem anderen „Weltreise-Pärchen“, die wir die Tage zuvor ein paar Mal getroffen haben. Sie haben die Tour ein Woche vorher erst gemacht. Sarah schreibt: „Die Befürchtung hatte ich vorher auch, doch glaub mir – der Rucksack ist das letzte was dich stört!“ Uff!

Als wir um 7:30 Uhr abgeholt werden, geht es erstmal zum Haus von unserem Veranstalter. Wir decken uns ein mit Leih-Jacken, Handschuhen, Wanderstöcken und unseren Lunchboxen. Ein Minivan bringt uns zum Ausgangspunkt der Wanderung. Dort angekommen gibt es von Gilmer – dem Veranstalter – noch eine motivierende „Ansprache“, die mir später immer wieder durch den Kopf geht: „it’s difficult, but not impossible! And remember: It’s a hike, not a race“.

Es geht los, und zwar richtig. Gemütlich Einlaufen ist nicht drin. Es geht erbarmungslos steil bergauf, von Anfang an. Es strengt an, und das ab der ersten Minute. Wir laufen auf Vulkansand, losem Geröll – gefühlt macht man einen Schritt vor und rutscht zwei zurück. Nach 10 Minuten die erste Pause – wir haben es alle nötig!

Wir sind eine bunt gemischte Gruppe von ungefähr 25 Leuten, haben sieben Guides an unserer Seite. Schnell verteilt sich die Gruppe in mehrere Kleingruppen – jeder in seinem Tempo, jede Gruppe einen Guide an ihrer Seite.

Der Weg scheint sich endlos zu ziehen. Mit jedem Schritt wirbeln wir Staub auf, der zwischen den Zähnen knirscht und auf der schweißigen Haut kleben bleibt. Keiner hat Puste zum Reden übrig, das einzige was man hört ist das Knirschen des Gerölls unter unseren Füßen, das schwere Atmen, das Einstechen der Wanderstöcke in das Vulkangestein und ab und zu ein „¿Todo bien?“ (Alles gut?) der Guides. Wir schleppen uns von Pause zu Pause. Schleudern unseren Rucksack auf den Boden, lassen uns fallen, sitzen ein paar Minuten. Wasser, Bananen oder Müsliriegel zum Energie tanken.

Die Guides pushen uns immer wieder bis zum nächsten Stopp. Irgendwann verändert sich die Natur. Der Boden wird endlich fester, stabiler doch nicht weniger steil. Um uns herum plötzlich Dschungel – riesige Bäume mit Lianen, alles ist grün. Ich nehme alles erst beim Abstieg richtig wahr – viel zu sehr bin ich auf meine Atmung und meine Schritte konzentriert.

Die Mittagspause kommt nach 2,5 Stunden genau richtig. Als ich die letzten Schritte zum Pausenplatz mache, merke ich, wie meine Muskeln sich langsam zusammenkrampfen. Wir holen unsere Lunchboxen raus – Gilmers Mutter hat für alle gekocht – Reis, Hähnchen, Omelett und Gemüse – es ist lecker und die Stärkung tut gut für den Moment! Beim Weitergehen liegt das Mittagessen schwer im Magen. Mist!

In meinem Kopf herrscht Chaos. Zwischen Fluchen und den Worten von Gilmer, die ich mir immer wieder ins Gedächtnis rufe und innerlich wie ein Mantra wiederhole: „it’s difficult, but not impossible! And remember: It’s a hike, not a race“ – Schritt für Schritt in meinem Tempo, man findet seinen Rhythmus. Trotz der Erschöpfung denken wir nicht ans Aufgeben. Die Vorstellung an das, was uns oben erwartet, treibt uns weiter an.

Nach ca. einer Stunde wieder eine Veränderung der Natur. Nur noch vereinzelte Baumstümpfe ohne Blätter oder Nadeln. Die Landschaft wirkt skurril und karg. Wir kommen uns vor wie Hobbits auf der Reise.
Das letzte richtig steile Stück ist heftig. Ich rutsche zweimal weg, brauche die Hilfe von unserem Guide. Das erste Mal denke ich an den Rückweg morgen und muss kurz schlucken. Die Amerikanerin, die mit mir läuft rammt ihren Stock aggressiv in den Boden und flucht „This volcano is a bitch!“ – ja, ich fühle mit ihr.

„Noch 15 Minuten bergauf, dann wird der Weg weniger anstrengend“ motiviert uns unser Guide wieder – wir müssen alle paar Meter stehen bleiben, warten, schnaufen. Endlich! Wir haben eine Grundhöhe erreicht und müssen „nur noch“ auf die andere Seite des Vulkans zu unserem Basecamp kommen. Die letzte dreiviertel Stunde gleicht einem Spaziergang im Vergleich zu dem, was wir schon hinter uns gelassen haben. Der Ausblick ist wunderbar. Die Stimmung steigt.

Mit Tränen in den Augen komme ich am Basecamp an. Tränen vor Erleichterung, Stolz, tiefer Zufriedenheit und Glück. Wir fallen uns in die Arme. Der aktive Zwilling des Acatenango – Vulkan de Fuego – begrüßt uns mit einem lauten Grollen und einer dicken Rauchwolke. Die Anstrengungen der letzten fünf Stunden sind bereits nach den ersten Minuten nach Ankunft vergessen. Wir sitzen aufgereiht wie die Hühner am Rande der Plattform unseres Basecamps, lassen uns die Sonne ins Gesicht scheinen während der Fuego alle zehn Minuten ausbricht und die Wolken um uns herum in einer wahnsinnigen Geschwindigkeit vorbeiziehen. Währenddessen sammeln unsere Guides Holz, entfachen ein Lagerfeuereuer und fangen an, unser Abendessen zu kochen.

Langsam setzt die Dunkelheit ein und damit auch die Kälte. Die Spannung steigt, jeder hat große Erwartungen an den ersten Ausbruch mit sichtbarer Lava im Dunkeln. Während wir am Feuer sitzen, uns aufwärmen und Kartoffelbrei, Bohnenmus und Gemüsenudeln reinschaufeln, ziehen langsam dicke Wolken um uns herum auf, die uns die Sicht auf den Vulkan komplett verwehren. Ab und zu hören wir den Fuego donnern und grollen, doch zu sehen sind nichts außer Wolken und Nebel. Die Enttäuschung ist groß – das war das, worauf jeder gehofft und gepocht hat. Zur Aufmunterung gibt es heiße Schokolade und Marshmallows zum Rösten über dem Feuer – die Guides kümmern sich um uns, wie tolle Mamas 😄.

Die Wolken wollen nicht verschwinden. Das ist Natur! Es ist 19:30 Uhr – die ersten verabschieden sich in ihr Zelt, ohne einen Vulkanausbruch in der Dunkelheit gesehen zu haben. Wir wollen noch nicht aufgeben, warten, sitzen am Feuer, den Blick immer wieder Richtung Himmel und Fuego. Durch den Wind werden die Wolken schnell vorbei geschoben – immer wieder lichtet sich der Himmel und gibt den Blick auf unzählige Sterne und den Vulkan frei. Jetzt muss nur noch das Timing passen. Und dann passiert es – zuerst sehen wir Wolken, die grell orange von unten angeleuchtet werden, dann schießt plötzlich eine Lavafontäne mit einem lauten Donnergrollen in den Himmel. Die glühenden Steinbrocken fliegen weit durch die Luft. Ein Raunen und ein klassisches „Feuerwerks-Ooooh“ geht durch unsere Runde. Es ist wunderbar – wir können uns nicht satt sehen. Doch so langsam ruft das Bett – es ist 21:00 Uhr. Wir sind hundemüde, schlafen besser als gedacht und wärmer als erhofft. Einzig und allein der Wind, der über die Plane peitscht, die über die Zelte gespannt ist und das Donnern des Vulkans lassen uns teilweise keine Ruhe zum Schlafen.

Um 4:00 Uhr werden wir geweckt – den einstündigen Aufstieg zum Gipfel schenken wir uns. Wir strecken unsere Köpfe aus dem Zelt und werden erneut Zeuge mehrerer massiven Eruptionen. Die Sicht ist mittlerweile klar und wir können es immer noch nicht begreifen, Zeuge dieses Naturschauspiels zu sein. Vom Basecamp aus haben wir einen superschönen Blick, erleben den Sonnenaufgang von dort, gemütlich im Zelt später am Feuer. Links von uns geht langsam die Sonne über den Wolken auf, rechts von uns bläst der Fuego dicke Rauchsäulen in die Luft.

Es gibt Pancakes und warmen Maisbrei zum Frühstück, mit Aussicht auf den Vulkan. Der Fuego gibt nochmal alles – wir sind fasziniert und überwältigt, das Gänsehautgefühl will nicht verschwinden.

Der Abstieg ist eine reine Schlitterpartie. Teilweise kann man nicht wirklich laufen, rutscht einfach den steilen Hang runter. Die Schuhe voller Sand und kleinen Steinen, doch Ausleeren lohnt sich nicht – schon nach wenigen Augenblicken sind die Schuhe wieder voll damit. Ständig vorm Gesicht: ein Tuch, um den gröbsten Staub und den Hustenreiz abzuhalten. Mich haut es auf dem Weg nach unten fünf mal hin, einmal auf die Knie, vier mal auf den Po. Langsam machen sich die Knie vom bergab gehen bemerkbar. Gegen Ende des Abstiegs sind wir so platt, dass wir nicht entscheiden können, ob Auf- oder Abstieg anstrengender war. Doch als der Fuß des Vulkans in Blickweite ist, beißen wir unsere Zähne nochmal zusammen. Gefühlt hätte der Weg keinen Meter länger sein dürfen. Das High-Five unserer Guides ist emotional. Eine Mischung aus Stolz, Erleichterung und dem übrig gebliebenen Adrenalin, das uns der Hike beschert hat.

Und unser Fazit gleicht dem von so vielen anderen: Ja, die Tour ist wahnsinnig anstrengend. Dennoch würden wir es nicht als „das Härteste“ bezeichnen, das wir jemals gemacht haben. Wir haben uns lediglich eine absolute „once in a lifetime-Erfahrung“ erarbeitet – und die möchten wir nicht missen. Man kommt da oben an und es fühlt sich gleichzeitig nach Glück, Freiheit, Zufriedenheit und Stolz an. Wir würden die Tour jederzeit wieder machen…

Acatenango y Fuego, mucho gusto!

Frisch geduscht und gestärkt, treffen wir uns am Abend noch mit einigen unserer Mitstreiter auf ein Feierabendbier und lassen das Erlebte Revue passieren. Wir sind uns alle einig: die beiden Tagen auf dem Vulkan mit all den dazugehörigen Emotionen werden wir nie wieder vergessen.

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