Medellin und Guatapé

Medellin und Guatapé

Medellin – die einst gefährlichste Stadt der Welt. Spätestens seit Netflix weiß man: Pablo Escobar war hier. Und machen wir uns nichts vor – in der Serie Narcos wirkt der Mann doch irgendwie sympathisch. Den Paisas (die Einheimischen in der Region rund um Medellin) stinkt das gewaltig. Wir hören blutige Horrorgeschichten über eine Zeit in dieser Stadt, die gar nicht so lange zurück liegt. Eine Zeit, in der ganze Viertel beherrscht wurden von Gewalt, Waffen und Drogen. Eine Aussage unseres Guides dazu, die mir traurige Gänsehaut beschert hat, ist mir besonders im Kopf geblieben: „als ich ein Kind war, war es ganz normal auf dem Schulweg auch mal über eine Leiche zu steigen. Fast jeder, der hier im Viertel lebt, hat durch den Drogenkrieg Familienmitglieder verloren“. Man kann und will sich nicht vorstellen, wie ein Leben in einem solchen Umfeld sein muss. Umso verständlicher, dass es den Einheimischen sauer aufstößt, dass einige Touristen mit Escobars Konterfei auf dem T-Shirt herumlaufen, makabere Souvenirs kaufen oder Blumen auf seinem Grab ablegen.

Heute ist von diesem Medellin kaum noch etwas übrig geblieben. Die Stadt selbst und die Paisas tun alles dafür, die Vergangenheit hinter sich zu lassen, hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken und das Stadt-Image zu verbessern. Mit Erfolg: Vor einigen Jahren wurde Medellin zur innovativsten Stadt der Welt gekürt – unter anderem wurde ein mittlerweile gut funktionierendes Metro Netz ausgebaut inklusive Seilbahnen, die in die ärmeren Viertel an den Hängen der Stadt führen, sodass die Menschen dort Anbindung zur Innenstadt haben und somit eine bessere Möglichkeit auf Jobs und Bildung haben. Auf die Metro sind die Bewohner besonders stolz, daher wird sie auch besonders pfleglich behandelt – Schmierereien, Müll, Füße auf den Sitzen, festgeklebte Kaugummis: Fehlanzeige. Wir werden sogar ermahnt, als wir am Bahngleis einen Schluck aus unserer Wasserflasche nehmen – Essen und Trinken sei schließlich verboten hier.

Die Communa 13 gehört mittlerweile zu den beliebtesten Zielen für Medellin Besucher – es handelt sich um das ehemals gefährlichste Viertel der Stadt. Bis vor ein paar Jahren herrschte hier Kugelfeuer auf den Straßen und selbst Taxifahrer verweigerten Fahrten in diese Gegend.

Der Ort den wir kennengelernt haben: Ein Viertel, gebaut in einen steilen Hang westlich von Medellin mit Freiluft Rolltreppen, die sich im Zickzack den Berg hochschlängeln (Auch eine der Dinge, die für große Erleichterung sorgen und zum Innovationspreis beitragen). Ein Viertel voll von bunten Graffitis die Geschichten erzählen. Ein Viertel voll von herzlichen und fröhlichen Menschen, das vor Lebensfreude nur so strotzt, in dem HipHop durch die Gassen dröhnt und die Kids dazu tanzen (ja, es gibt sie wirklich, die HipHop Tanzbattles die wir aus amerikanischen Filmen kennen 😅). Ein Viertel, in dem die Locals dankbar sind für Tourismus und Normalität. Ein Viertel in dem das Lebensgefühl nicht mehr Angst, sondern Hoffnung ist.

Sicher sind noch nicht alle Probleme gelöst. Es gibt nach wie vor Kartelle, Banden und Co, die hier früher wie heute präsent sind. Doch Medellin und besonders die Comuna 13 befinden sich im rasanten Aufschwung – und das ist deutlich spürbar.

Bei unserer Free Walking Tour am nächsten Tag – übrigens die beste, die wir insgesamt bisher irgendwo hatten – erfahren wir noch mehr über die prägende Vergangenheit der Stadt. Unser Guide erzählt dabei immer wieder von „Lord Voldemort“, denn neben Harry Potters größtem Widersacher wird auch hier ein bestimmter Name (Escobar) nur sehr ungern laut ausgeprochen. Wir bekommen eine ganz einfache Erklärung dafür: „Stellt euch vor, ich erzähle euch auf Englisch, was für ein fürchterlicher Typ Lord Voldemort war, Einheimische, die vielleicht kein Englisch sprechen, hören uns mit einem Ohr zu, verstehen nur Lord Voldemorts Namen und gehen dann vielleicht davon aus, dass ich ihn verherrliche. Das will ich keinesfalls.“

Während unserer Tour durch die Straßen Medellins, wird unser Guide bei seinen Ausführungen immer wieder unterbrochen von Locals und bringt diese dann ganz charmant in seinem Programm unter, lässt sie zu Wort kommen und übersetzt für uns. So kommt es, dass wir einige Male herzlich begrüßt werden und die Menschen ihre Dankbarkeit zeigen, dafür, dass Touristen kommen und somit zur Normalität beitragen. Außerdem weist er uns Anfangs darauf hin, dass wir – wie in einer Großstadt eben üblich – auf der Hut sein sollen vor Taschendieben (ein bekanntes Sprichwort in Medellin heißt „Don’t show your Papaya“, soll heißen, die Wertsachen nicht unbedingt zur Schau stellen) und nicht erschrecken sollen, wenn plötzlich jemand direkt und sehr dicht neben uns steht. Dann handelt es sich nämlich nicht um Taschendiebe, sondern lediglich um Kolumbianer, die fasziniert sind von der teils stattlichen Körpergröße der Gringos und sich deshalb daneben stellen, um mal zu schauen, wie groß sie im direkten Vergleich sind. Genau das passiert tatsächlich eine halbe Stunde später, was natürlich einige Lacher einbringt.

Unsere Tour führt uns vorbei an besonderen Plätzen, wie zum Beispiel am Plaza San Antonio, auf dem während eines Konzerts 1995 ein Anschlag verübt wurde. An einer Botero-Skulptur wurde eine Bombe deponiert und gezündet, hierbei kamen einige Menschen ums Leben und hunderte wurden verletzt. Botero ist ein kolumbianischer Künstler, bekannt für seine rundlichen Figuren mit verzogenen Proportionen. Die Skulptur des Bronze Vogels, die bei dem Anschlag zerstört wurde, sollte zuerst abgerissen werden. Botero jedoch schlug der Stadt vor, die Skulptur als Mahnmal an dem Platz zu belassen und stellte die gleiche Figur ein zweites Mal daneben, als Zeichen des Friedens.

An besonders dunklen und gefährlichen Ecken wurden Plätze des Lichts errichtet, Bibliotheken gebaut oder wie am Plaza de las Luces ein Kunstwerk aus Lichtsäulen aufgestellt, die an die Opfer der Drogenkriege erinnern sollen. Besonders gut gefällt uns ein wuseliger Platz, an dem jung und alt zusammen kommen, Musik aus allen Ecken schallt und die Menschen gemeinsam tanzen und singen. Die kolumbianische Lebensfreude ist einfach ansteckend. Medellin ist für uns eine Stadt im positiven Wandel und Hoffnungsträger für viele andere Orte, an denen Krieg und Gewalt an der Tagesordnung stehen.

Später ist es Zeit, Gelüsten außerhalb der zentral-/südamerikanischen Kulinarik nachzugehen: wir landen bei einem Berliner Deutsch-Türken, der vor einigen Jahren mitten in Medellin eine Dönerbude geöffnet hat 😄 Als wir hinterher zurück in unsere Unterkunft kommen, sitzt gerade ein portugiesisches Pärchen in unserer geteilten Küche. Die beiden berichten uns total euphorisiert von ihrem Tag – sie waren Paragliden über den Dächern von Medellin. Die Begeisterung springt irgendwie sofort auf uns über. So kommt es, dass wir noch am selben Abend eine neue Handynummer in unseren Kontakten gespeichert haben und einen Termin für den nächsten Tag vereinbaren.

Am nächsten Morgen bin ich überrascht, dass ich doch so ruhig geschlafen habe, steigt doch nun so langsam die Aufregung. Als wir am Busbahnhof ankommen, um nach San Felix weiterzukommen, stellen wir schnell fest, dass das keine gute Idee ist, wenn wir noch halbwegs pünktlich zum Termin kommen wollen. Die Menschenschlangen für die Busse stehen teilweise bis vor die Türen – was wir nicht wussten, ein Feiertag steht an und somit auch ein langes Wochenende. Sprich: halb Medellin ist auf den Beinen, um übers Wochenende ins Grüne zu fahren. Uff! Also landen wir schlussendlich in einem Grab-Taxi, dass uns über eine Stunde durch die engen, steilen und kurvigen Gassen nach San Felix bringt. Bis wir dort ankommen, bin ich mittlerweile so aufgeregt, dass ich am laufenden Band quatsche, Manuel dumme Fragen stelle und mich irgendwie ablenken muss. Der hingegen ist völlig entspannt und ruhig, während ich mich frage, wie er das macht?! Nach einer kurzen Sicherheitseinweisung geht’s auch schon los.

Als wir auf dem Flugplatz stehen, in unseren Gurten stecken und unsere Piloten kennen gelernt haben, ist meine Aufregung plötzlich wie weggeblasen. Wie selbstverständlich laufe ich los, im Gleichschritt mit meinem Piloten und ehe ich mich versehe, schweben wir über den grünen Hügeln und den roten Dächern von Medellin. Was soll ich sagen? So richtig kann ich das kribbelige Gefühl nicht beschreiben, das ich habe, während mir der Wind ins Gesicht bläst, und ich mit Leichtigkeit wie ein Vogel über die Stadt gleite – pures Glück vielleicht? Freiheit? Besonders schön ist es, als Manuel plötzlich ein paar Meter neben mir in der Luft auftaucht und wir uns begeistert zuwinken. Wegen der guten Thermik landen wir wieder am selben Platz, an dem wir auch abheben. Kurz vor Landeanflug fragt mich mein Pilot, ob ich bereit bin für ein paar Tricks. Natürlich bin ich das und die wilde Achterbahnfahrt beginnt. Nach einer sanften Landung auf dem Po sind wir beide den restlichen Tag euphoriegeladen. Ein herrlicher Gänsehautmoment auf unserer Reise.

Knapp zwei Stunden östlich von Medellin liegt Guatapé. Für viele Touristen Ziel eines Tagesausflugs, für uns ein längerer Stopp für ein paar Tage – wir wollen etwas tiefer eintauchen. Kaum angekommen, fühlt man sich in eine komplett andere Welt gebeamt – entsprungen aus einem Bilderbuch mit Kopfsteinpflaster-Gassen und bonbonfarbenen Häusern an einem hübschen Stausee.

Die Fassaden der Häuser springen sofort ins Auge. Nicht nur, weil sie knallbunt sind, sondern weil sie Bilder zeigen und Geschichten erzählen. Traditionell sind auf den Bildern die Berufe der Bewohner zu sehen, oder aber die Bewohner selbst. So laufen wir durch die Gassen, interpretieren die Bilder und denken uns unsere eigene Geschichten zu den Bewohnern aus.

In den 60er Jahren wurde das Tal um Guatapé zum Ort für den größten Stausee des Landes erklärt. Innerhalb von zehn Jahren wurde das komplette Tal geflutet – darunter auch El Peñol, ein Örtchen, aus dem die Einwohner umgesiedelt wurden, in ein neu errichtetes El Peñol auf einem Berg am Rande des Stausees. Das neue El Peñol: Viel zu klein, ohne Dorfplatz (um Proteste der Anwohner zu vermeiden) und für die meisten Bewohner zu teuer, sodass einige Familien in die Armenviertel nach Medellin ausweichen mussten. Heute ragt nur noch das Kreuz des früheren Kirchturms aus dem Wasser und erinnert an alte Zeiten.

Mittlerweile sind die Einwohner rund um den Stausee mit seinen vielen kleinen Inseln stolz auf die Gegend und den See, der 2/3 des Landes mit Energie versorgt. Alles was in Kolumbien Rang, Namen oder genug Geld hat, hat hier auf irgendeiner Insel eine schicke Hütte stehen – in den meisten fällen Feriendomizile. So zum Beispiel die einst kleinste Villa von Pablo Escobar, Finca Manuela, die 1993 von Los Pepes in die Luft gesprengt wurde. Kurz darauf strömten Bewohner der umliegenden Dörfer mit Werkzeugen zur Finca, um nach geheimen Geldverstecken in doppelten Wänden zu suchen. Heute flattert immer noch das Absperrband der Polizei im Wind.

Das eigentliche Highlight dieser Gegend ist der beeindruckende Fels, der zwischen den Örtchen Guatapé und El Peñol thront. Beide Gemeinden beanspruchen ihn gerne für sich, was schon seit Jahrzehnten für Streitigkeiten sorgt. In einer Nacht und Nebelaktion haben vor einigen Jahren die Bewohner von Guatapé angefangen ‚Guatapé‘ auf den Fels zu schreiben. Das ‚G‘ und die erste Linie von ‚U‘ konnten sie aufmalen, bevor sie von einem Mob der El Peñoler Bewohner unterbrochen wurden – seitdem steht GI auf dem Fels und sorgt immer wieder für Diskussionen. Doch in einer Sache sind sich die Bewohner einig: „Von dort oben hat man die beste Aussicht der Welt“ – über den Stausee mit seinen vielen Inseln und der bergigen Landschaft drumherum. Es ist was dran! 700 schmale, steile Stufen muss man im Zickzack bewältigen und dabei auch ein bisschen schwindelfrei sein, um den Ausblick zu genießen. Während wir uns die Treppen hochschleppen, fragen wir uns immer wieder, wer auf die Idee kam, mitten in eine Felsspalte eine Treppe zu bauen, die sich wie ein Reißverschluss am Stein entlang zieht. Oben angekommen werden wir direkt empfangen von mehreren Verkäufern, die kalte Getränke, Eis oder Magnete und sonstige Souvenirs loswerden wollen. Gefühlt trinkt jeder zweite einen Michelada-Mango, was so erfrischend aussieht, dass wir uns auch einen bestellen, ohne genau zu wissen, was da alles rein kommt. Leider gar nicht unser Geschmack: Bier mit Mangostückchen, Limettensaft und Salz – selbst jetzt, wenn ich ein paar Wochen später nochmal daran denke, zieht sich alles in mir zusammen 😀

Nächste Station: Bogotá

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