Bogota und eine Reisepause zuhause

Bogota und eine Reisepause zuhause

Ein bis obenhin vollgepacktes Tuktuk zum Busbahnhof in Guatapé, ein übervoller Bus mit zwei witzigen Musikern und guter Stimmung von Guatapé nach Marinilla, ein extrem bequemer Reisebus von Marinilla nach Bogotá.

Nach ungefähr zehn Stunden unterwegs kommen wir nachts um halb zwei an unserem Ziel an – Bogotá, die Hauptstadt Kolumbiens. Als wir aus dem Bus aussteigen ist es kalt. Saukalt (zumindest fühlt es sich so an). Die Stadt liegt auf 2.600 Metern Höhe und begrüßt uns mit ungefähr 8° (ja, ja, ich weiß! Jetzt wo in Deutschland der Herbst anbricht könnt ihr vermutlich darüber nur schmunzeln – doch sind wir gerade innerhalb von zehn Stunden und einem Temperaturunterschied von ca. 23° gefühlt in einer komplett anderen Klimazone angekommen und ich barfuß und mit Birkenstock plötzlich völlig falsch angezogen).

Weil wir vorher auf allen möglichen Plattformen gelesen haben, dass man es besser meiden sollte, Taxis auf der Straße anzuhalten und stattdessen ein registriertes Taxi oder ein Uber zu bestellen, machen wir das auch so. Direkt neben dem Busbahnhof ist eine größere Tankstelle, die uns gut geeignet erscheint, als kurze Haltebucht für den Fahrer. Ein paar Meter neben uns: rostig braune Flüssigkeit am Boden verteilt (zuerst rätseln wir, ob es sich vielleicht um einen umgekippten Saft handelt, als jedoch einer der Taxifahrer aus der Tankstelle kommt und große Augen macht, ist klar, dass das kein Saft ist, sondern vielmehr das Überbleibsel einer gewaltsamen Auseinandersetzung). Uff, das sind gemischte Gefühle beim Ankommen und wir sind froh, als wir die Tür in unserem Appartement hinter uns zu ziehen und nach einem langen Tag ins Bett fallen können.

Nach ein paar Tagen wissen wir, man muss die Stadt erleben, um sie zu verstehen. Wir bekommen doch noch ein positives Bild von Bogotá und anfängliche Zweifel sind schnell über Bord geworfen.

Die Graffiti Szene in Bogotá ist eine der aktivsten der Welt. So machen wir gleich am ersten Tag eine Graffiti-Tour mit einem Sprayer aus der Szene. So sehen wir nicht nur hübsche Bilder, sondern bekommen auch die Hintergründe und Bedeutungen der Graffitis erklärt. Oftmals steckt doch sehr viel mehr dahinter, als ein hübscher bunter Papagei, der da aufs Garagentor gesprüht wurde. Einen Skandal in der Szene gab es, als Justin Bieber sich vor einigen Jahren nach einem Konzert in der Stadt unter Schutz einer Polizeieskorte auf einer Wand verewigte, während lokale Sprayer mit Verfolgung durch die Behörden rechnen mussten. 2011 wurde ein junger Künstler von einem Polizisten erschossen. Verständlich, dass den lokalen Graffiti Künstlern die Bieber Aktion übel aufgestoßen ist. Doch ein gutes hatte die Sache: das Bieber Drama hat geholfen, die Straßenkunst in der Stadt zu legitimieren. Die Graffiti-Tour endet im Viertel ‚Candelaria‘, dem pulsierenden Herz der Stadt. Kopfsteinpflastergassen, zwischen kleinen, schmalen Häusern immer wieder große, bunte Häuser im Kolonialstil, hübsche Cafés, kleine, enge Geschäfte mit Kunsthandwerk oder den klassischen Souvenirs, beeindruckende Graffitis, wuselige Plätze voll spürbarer Lebensfreude.

Immer Sonntags findet im Stadtteil Usaquen ein „Flohmarkt“ statt. Tatsächlich ist es weniger ein Flohmarkt, denn gebrauchte Dinge gibt es nirgendwo. Vielmehr eine Mischung aus Kunsthandwerk, besonderen Dingen, links und rechts immer wieder bunte Saftstände und Leckereien. Dazwischen Straßenkünstler, die mit Musik, Gesang oder Tanz zum Stehenbleiben einladen. In den letzten Monaten haben wir so gut wie nichts eingekauft, höchstens, um kaputte Dinge auszutauschen oder Kleinigkeiten, die wir wirklich unterwegs brauchen. Doch heute stehen wir vor dem kleinen Stand von Rafael – sein Vater ist Schuhmacher und hat sich auf die Herstellung von Flip-Flops aus recyceltem Plastik spezialisiert. Als wir das erste Mal dort stehen, siegt die Vernunft – ‚wirklich tolle Idee, doch kein Platz im Rucksack!‘ Nach ein paar Stunden auf dem Markt haben mich die Schuhe aber doch noch nicht losgelassen. „Wir schauen einfach nochmal hin“ sagen wir uns, doch eigentlich ist klar: ich will diese Schuhe. Leider gibt es ausgerechnet das Model, das ich mir in den Kopf gesetzt habe nicht mehr in meiner Größe. Kein Problem sagt Rafael, während er seinem Papa schon via WhatsApp textet – er könne direkt mit der Arbeit anfangen und mir mein perrsönliches Paar ‚Ecoflops‘ drei Tage später zur Unterkunft bringen. Wow! Ein paar Tage drauf hab ich die Teile tatsächlich an meinen Füßen und freue mich darüber 🙂 Die Gegend um Usaquen gefällt uns besonders gut. Es fühlt sich so an, als hätte man etwas Abstand zur Großstadt und die Stimmung, die dort herrscht ist angenehm, freundlich und gefühlt weniger anonym.

Zufällig erfahren wir von David. Er kommt aus meinem Nachbardorf, lebt aktuell in Bogotá, arbeitet hier als Deutschlehrer und schreibt parallel an einem Buch mit Wanderrouten in Kolumbien. Am Nachmittag treffen wir uns mit ihm auf einen Kaffee und einen Spaziergang durch sein Lieblingsviertel, was so ganz anders ist, als alles andere, was wir zuvor in Bogotá gesehen haben. Dabei versorgt er uns mit spannenden Infos zu ’seiner‘ Stadt, zum kolumbianischen Großstadtleben selbst und hat viele lustige und schöne Geschichten zu seiner Zeit hier auf Lager.

Dass die paar Stunden mit David besser waren als jede Stadtführung, merken wir spätestens ein paar Tage später bei unserer Free Walking Tour – dreieinhalb Stunden knallharter Geschichtsunterricht und unendlich viele Jahreszahlen. Die einzige Abwechslung ist der Chicha zwischendurch und das Kunstmuseum, das der kolumbianische Künstler Botero (ihr erinnert euch aus dem Medellin Blogbeitrag?) der Stadt gesponsert hat unter der Bedingung, dass es immer kostenlos und für alle zugänglich ist – tolle Idee! Chicha, Mais-/Inka- oder auch mal „Spuckebier“ genannt, ist ein fermentiertes Getränk, das im Ursprung aus Maisstärke und Speichel bestand – mittlerweile wird für die Herstellung nicht mehr ins Fass gespuckt 😉 Chicha riecht wie Apfelwein und schmeckt anders, als es riecht, nämlich gar nicht sooo schlecht. Für unseren Geschmack aber auch kein Getränk um es in größeren Mengen zu trinken.

Das nächste kulinarische Highlight unter der Kategorie „Typisch Bogotá“ probieren wir gleich nach unserer Tour. Eines der ältesten Cafés der Stadt ‚La puerta falsa‘ ist nicht nur ein einfaches Restaurant, sondern ein Erlebnis. Der Klassiker hier: Chocolate Santa Fereño – heiße Schokolade mit Käse. Wir haben mehrfach davon gehört und konnten uns nur schwer vorstellen, wie das zusammenpassen soll. Wir sitzen in diesem kleinen beengten Raum, lassen uns vom Kellner genau erklären, wie man die Schokolade trinkt, bröseln den Käse in die dampfende Tasse, warten ein paar Minuten, bis dieser angeschmolzen ist und löffeln ihn dann aus der Schokolade. Überraschung: Auch wenn etwas gewöhnungsbedürftig, schmeckt uns das Zeug echt ganz gut. Hinterher sind wir so satt, als hätten wir gerade einer riesigen Teller Reis und Bohnen reingefuttert 😄

So wie das Wetter in Bogotá ist, so erging es uns in den letzten Wochen auch – Sonnenschein, dunkle Wolken, Regen, Wind, Sonnenschein, Regen…
Gefühlt ist der Wurm drin – wir rauschen von einer Antibiotika Kur in die nächste, ein Arztbesuch jagt den nächsten. So richtig vogelfrei genießen geht dabei gerade nicht. Die nächsten Ziele in Südamerika wären für uns das Amazonasgebiet, Peru, Bolivien…nicht gerade Reiseziele, bei denen man sich mal gemütlich einige Tage an den Strand legt, um wieder fit zu werden. Vielmehr Reiseziele, bei denen wir fit sein wollen und müssen, um das zu sehen und zu tun, was und wie wir es uns vorgestellt haben.

Wir bleiben ganze zwei Wochen in Bogotá, hängen irgendwie in der Luft mit unserer Entscheidung – Wohin weiterreisen? Ist Amazonas gerade die richtige Wahl nach mehreren Tagen Fieber und Schüttelfrost? Pause machen? In Bogotá?

Als wir uns im Januar verabschiedet haben, hat Mama zu mir gesagt „Ich wünsche euch eine wunderbare Zeit! Und auch den Mut, umzukehren und heimzukommen, wenn euch danach ist“ – danke dafür, Mama! ❤️ Ich glaube, das hat uns in dem Moment mit unsere Entscheidung wirklich geholfen.

Es ist Samstag morgen. Wir sitzen in unserem Appartement, durchforsten alle möglichen Plattformen nach Flügen. Wir haben uns entschieden, eine kleine Reisepause zu machen – daheim. Bei mir sind bis dahin schon viele Tränen geflossen. Was ist mit den anderen Ländern in Südamerika, die wir uns für diese Reise vorgenommen hatten? Bolivien…ich hatte mich so auf die Salzwüste und einen funkelnde Sternenhimmel gefreut. Doch mittlerweile und mit etwas Abstand betrachtet weiß ich: Südamerika, Bolivien und erst recht der Sternenhimmel läuft uns nicht davon. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Heimzufliegen war die beste und goldrichtige Entscheidung!

Unser Flug ist also gebucht – schon drei Tage später geht es für uns zurück nach Deutschland.

Am Abend vor unserem Rückflug fahren wir mit der Gondel nochmal auf den Hausberg der Stadt – Cerro de Monserrate. Wir stehen stehen eingemummelt in unseren Jacken auf 3.152 Metern Höhe, spüren den kalten Wind, der uns um die Nase weht, während wir auf die in goldenes Licht getauchte Stadt blicken. Nach und nach wird es dunkel und die Lichter Bogotás funkeln uns entgegen. Ein toller Abschluss von „Teil 1“ unserer Reise.

Mit Gänsehaut denken wir daran zurück und sind unfassbar dankbar für das, was wir in den letzten Monaten hier erleben durften. Denken zurück an all die wunderbaren Begegnungen, faszinierenden Naturschauspiele und tollen Momente!

Mit gemischten Gefühlen steigen wir in den Flieger – Deutschland wir kommen. Und was sollen wir sagen: DANKE! Danke, unseren Familien und Freunden, dass ihr uns ein so tolles Heimkommen und einen wunderbaren Sommer daheim beschert habt! Wir haben es so genossen! ❤️

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